R E N A T A    J A W O R S K A
ATELIER JAWORSKA | atelier@renatajaworska.com
VERORTUNG

 "VERORTUNG. Gedanken zu den Werken von Renata Jaworska"

 

Text: Vanessa Charlotte Heitland 

 

 

          „ Einen festen Platz in einem bestimmten Bezugssystem zuweisen.“1 So die Definition des Wortes ‚verorten‘, die der Duden bereithält. Eine sachliche Beschreibung für eine scheinbar ebenso rationale Handlung. Eine mathematisch lösbare Aufgabe unter der Zuhilfenahme von explizit dafür entwickelten Regeln und Formeln. Wie aber findet man als Mensch einen solchen Platz in einem Bezugssystem, wie wird man diesem zugehörig? Wie positioniert und bewegt man sich als Individuum innerhalb eines (fremden) räumlichen und sozialen Gefüges? Wie verändert die eigene Wahrnehmung das Bild eines Ortes? Und wie lässt sich die Vielgestaltigkeit der Welt in unserer digital geprägten Gegenwart überhaupt erfassen – physisch wie visuell? 

    Fragen, denen sich Renata Jaworska in ihren aktuellen Arbeiten, malerisch und graphisch, in Auseinandersetzung mit dem Medium der Karte und dessen spezifischer Form der Wirklichkeitsdarstellung, widmet. Dank der großzügigen Bereitstellung im digitalen Raum, jederzeit zugänglich und verfügbar, sind komplexe Stadtsysteme heutzutage im wahrsten Sinne des Wortes überschaubar und zugleich bis ins Detail einsehbar. Jeder ist vermeintlich in der Lage, sich an einem Ort zu bewegen, sich sprichwörtlich ‚ein Bild von ihm zu machen‘. Dieser Ort mag Hunderte oder gar Tausende von Kilometern entfernt liegen, dennoch scheint er mühelos erreichbar. So der Eindruck. Doch was bedeutet es eigentlich wirklich, sich ein Bild von einem Ort zu machen‘? Auch Renata Jaworska lässt den Betrachter ihrer Werke aus der Vogelperspektive auf ein Gebiet schauen, auf urbane Strukturen, kartographisch festgehalten. Doch sind es keine maßstabsgetreu verkleinerten Abbilder eines Ortes, obgleich sie ihre Grundlage in realem Kartenmaterial finden. Städtische Gefüge mit ihren Straßen und Flächen sind in ihrer           

     Anlage zwar deutlich zu erkennen, doch sind diese nicht weiter differenziert. Etwas anderes erlangt dagegen eine besondere Präsenz: Linien. Das bestimmende Gestaltungsmittel der Künstlerin. Manchmal sind sie gestisch über die Fläche verteilt und überlagern das Darunterliegende, lassen es nur teilweise unter dem Geflecht durchscheinen. Größtenteils erscheinen sie jedoch präzise gezogen, verdichtet zu einem komplexen Netz, einem Koordinatensystem gleich, inmitten dessen Renata Jaworska das urbane Gefüge verankert. Darin wiederum treten in Farbe und Stärke einzelne Stränge hervor, denen die Künstlerin Eigenständigkeit, Dynamik und Bedeutung verleiht. Es ist das malerische und zeichnerische Mittel der Linie, das die Orte aus dem nüchternen, kartographischen Kontext herauslöst und zu persönlichen Plänen von Städten und Gebieten werden lässt. Zu Palimpsesten, in denen sich die eigenen Erfahrungen, Prägungen und Erinnerungen der Künstlerin eingeschrieben haben, voller Verknüpfungen und Verflechtungen. 

     Es sind die unmittelbaren Begegnungen mit (fremden) Orten und Umgebungen, aus denen heraus Renata Jaworskas Karten entstehen. Das Nachzeichnen, Nachvollziehen der selbst beschrittenen Wege, das Herausheben aus der Vielzahl an Möglichkeiten im Liniengewirr, gleicht einem Durchschreiten des jeweiligen Stadtgefüges, ein erneutes Durchdenken der eigenen Schritte. Es ist ihr ganz eigener künstlerischer Prozess der Erkundung und Aneignung, der Reflexion über den jeweiligen Ort ebenso wie dessen Aufarbeitung. Renata Jaworska ‚macht sich ein Bild von einem Ort‘. Ihr Bild. Immer wieder aufs Neue. Permanent ist ihre Biographie geprägt von dem Erkunden, dem Erspüren neuer Städte und Gegenden, aber auch der eigenen, dortigen Positionierung. Dem Verlassen des gewohnten, heimischen Terrains und dem Einlassen auf einen neuen Lebensraum. Auf die Frage: wo stehe ich?

Es mag ihre persönliche Geschichte sein, die sie dafür sensibilisiert, welche Kraft der eigene Standpunkt, die eigene Erfahrung, Herkunft, Sozialisation für die Wahrnehmung eines Ortes haben. Die Tatsache, ob er einem vertraut ist oder ob man ihn erstmalig besucht, konfrontiert mit der Herausforderung, Orientierung zu erlangen im Unbekannten. Eine Aufgabe, die sich als zunehmend schwerer offenbart in einer Welt, in der alles zwar erreichbar, aber dennoch zugleich flüchtig und kaum greifbar erscheint. Auch Renata Jaworskas Orte wirken oftmals, als schwebten sie in der Weite eines virtuellen Raumes, auf der Suche nach Halt, einem Platz in einem Bezugssystem. Mithilfe der Linien versucht die Künstlerin dieses herzustellen, den jeweiligen Ort zu ihrem zu machen, ihn nach ihren Vorstellungen und Empfindungen zu ordnen, zu durchdringen, ihn in seiner Gestalt zu begreifen, Möglichkeiten auszuloten. 

Die Komplexität dieses Unterfangens zu visualisieren, einzufangen, erfahrbarzu machen – es gelingt ihr mit gänzlich analogen Mitteln und womöglich sind ihre Bilder gerade daher von so großer Eindringlichkeit. Neben aller Faszination für das Künstlerische, die handwerkliche Perfektion und die stille Ästhetik, die ihren Arbeiten zweifellos innewohnt, ist es vor allem eine Erkenntnis, die Renata Jaworskas Bilder in uns als Betrachter hervorrufen: Das eine, allgemeingültige Bild eines Ortes, es existiert nicht. Das Bild, das sich jeder einzelne macht, ist letztendlich nicht mehr als eine subjektive Interpretation der Wirklichkeit, eine von vielen Versionen des Gleichen. Divers und vielschichtig. Positiv wie negativ. Beeinflusst durch gegangene Wege und daraus resultierende Begegnungen. Ebenso aber auch durch versperrte Straßen, die das Ankommen verhindern. 

Die eigene Verortung – ist sie oftmals doch nicht mehr als eine Utopie? 

 

 

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